MILLI BAU

MILLI BAU

 SEIDENSTRASSE / SILK ROAD 1956 -1974, hg. von JULICA NOROUZI, 2017 KERBER VERLAG

MILLI BAU


1956 brach die Journalistin und Fotografin Milli Bau auf, um die Länder der Seidenstraße mit einem VW-Bus zu erkunden. An manchen Orten hielt sie sich länger auf, andere streifte sie nur. Später lebte sie sieben Jahre als Korrespondentin in Teheran. Ihre Rolleiflex und ihr Tagebuch begleiteten sie auf ihrer außergewöhnlichen Reise in Länder, die heute teils kaum noch zu bereisen sind. In ihren Fotografien ist fast 20 Jahre Kultur- und Zeitgeschichte zu sehen. Die Publikation ist ein zeithistorisches Dokument einer reisenden Journalistin, die in den 1950er-Jahren Deutschland verließ und sich in der Welt wiederfand. Milli Bau ist ein außergewöhnliches Beispiel für ein Frauenleben, das nicht in Vergessenheit geraten sollte.

In 1956 the journalist and photographer Milli Bau set out in a VW van to explore the countries along the Silk Road. She spent more time at some locations, but only passed through others. She later lived in Tehran and worked as a correspondent. Her Rolleiflex and a journal accompanied her on this extraordinary journey to countries, some of which are difficult to visit today. This publication documents the travels of a journalist who left Germany in the 1950s and discovered the world. Milli Bau is an outstanding example of the life of an unusual woman who should not be forgotten.
INTERVIEW
 
DIE MACHER VON CONFLICTFOOD.com IM GESPRÄCH MIT JULICA NOROUZI 


1956 und Milli Bau macht sich auf den Weg in die große weite Welt. Sie ist zu diesem Zeitpunkt 50 Jahre alt und bereist die Seidenstraße mit ihrem umgebauten T1. Alleine! Wir haben mit der Autorin des Buches und „Enkelin“ von Protagonistin Milli Bau – Julica Norouzi – gesprochen. 

Was war Milli Bau für ein Mensch? 

Milli wurde 1906 geboren und ist aufgewachsen als Tochter eines Buchhalters. Sie durfte nicht studieren, aber ihr Vater war der Meinung, dass eine Frau das nicht brauche. Milli wollte aber schon immer die Welt sehen und andere Länder und Menschen kennenlernen. Das war ihr Traum. Sie lebte eine traditionelle Kindheit zu Beginn des 20.Jahrhunderts und reiste dann mit 20 Jahren zum ersten Mal nach Bologna, um dort italienisch zu lernen. 

Das war 1926, oder? 

Genau. Dort lernte sie einige Zeit italienisch und ist dann nach Deutschland zurückgekehrt. 
Mit 32 hat sie einen Freund ihres Vaters heiraten müssen(!). Der Herr war viel älter als sie und das war einfach keine schöne Ehe. Zum Scheitern verurteilt. Er war ein Siemens Direktor und sie lebte zunächst ein ziemlich traditionelles Gattinenleben. Die 1930er Jahre haben sie in Hamburg verbracht. Sie lebten in einem großen Haus und genoss einen gehobenen Wohlstand. Milli aber war dieser Status eher langweilig. Durch ihre vielfältigen Interessen hat sie damals einige Wissenschaftler kennengelernt, die ihr Mittel und Wege ermöglicht haben, 1948 mit Hans Ertl auf eine Expedition nach Bolivien zu reisen. Hans Ertl war einer der Kameramänner von Leni Riefenstahl. Ich stelle viele Fragen in meinem Text, denn nicht alles, was diese Expedition betrifft, ist geklärt.

Wie war das so kurz nach dem Krieg möglich? 

Milli konnte nach dem Krieg reisen, weil sie keine nationalsozialistische Vorbelastung hatte. Sie war lediglich eine Hausfrau, hatte aber auch bestimmte Kontakte in bestimmte Szenen, welche ihr die Expedition ermöglichten.
 Milli wollte raus in die Welt und nutze jede Möglichkeit, die sich ihr bot. Und sie war immer recht aufrührerisch, auch ihrem Mann gegenüber. Schon während der Südamerika Zeit trennten sie sich. Aus Bolivien brachte sie einen kleinen Affen – Fips Peter Schwanzelhuber – mit und lebte mit ihm in Hamburg-Aumühle. Nach dem Tod ihres Mannes, Mitte der 1950er Jahre, verkaufte sie das große Haus und die Möbel und investiere das letzte Geld in den Umbau eines VW-Busses zu einem Camping Van. 

Ist deine Mutter oder dein Vater das Kind von Milli? 

Milli und ich sind nicht blutsverwandt. Meine Mutter und Milli haben sich 1974 kennengelernt. Die beiden sind sehr enge Freundinnen geworden, fast wie Mutter und Tochter. Bis zum Tod von Milli 2005. Sie starb mit 99 Jahren und haben sich mehrmals in der Woche gesehen. Ich bin 1982 geboren. Sie war also wie meine Großmutter und sie gehörte einfach zur Familie. 

Wie könnte man die Struktur des Buchs beschreiben? 

Meistens lasse ich sie sprechen und stelle Fragen, es ist wie ein Dialog zwischen uns beiden. Ich fand das war eine schöne Form, mich ihr anzunähern. Denn warum soll ich Millis Geschichte erzählen? Sie hat Zeit ihres Lebens alles was sie erlebte, in Texten und Bildern festgehalten. Diese Texte sind wunderschöne Miniaturen. 
So ist auch der Aufbau des Buches. Ihre Fotografien erzählen zusammen mit ihren Texten die Geschichte dieser Reise, auf deutsch und auf englisch. 

Interessant. Wie geht es weiter mit ihrer Geschichte? 

Sie kaufte sich einen VW Bus T1, den sie zu einem Camping Van umbauen lies. Der erste Camping T1 kam Mitte 1956 auf den Markt. Aber Millis Reise ging bereits am 1. Januar 1956 los, dass heißt, sie hatte eine Art Prototyp des T1. Sie lies ihren Wagen von Hamburg aus nach Beirut verschiffen. Vom Libanon fuhr sie immer Richtung Osten, entlang dem Wegenetz der Seidenstraße. 
Eine Frau, allein im VW-Bus auf der Seidenstraße! Das war echte Pionierarbeit. Heute ist es zwar schon fast normal mit einem Bus durch die Welt reisen. Aber damals, 1956, war das eine echte Sensation. 
 

Der Kapitän des Schiffes von Hamburg nach Beirut sagte zu ihr: „Frau Bau, machen sie das bloß nicht... Ich nehme sie kostenlos mit zurück. Sie als Frau... das ist doch viel zu gefährlich!“
 
Doch Milli lies sich nicht abhalten. Sie war schon immer sehr resolut. Die Seidenstraße war ihre große Sehnsucht. Ihr Vater war ein glühender Sven Hedin Verehrer. Hedi veröffentlichte viele Reisebeschreibungen über die Seidenstraße zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Vorallem seine schön illustrierten Kinderbücher über die Seidenstraße befeuerten Millis Kindheitsphantasien. Dorthin wollte sie und sie lies sich von nichts und niemandem davon abhalten. 

Wie alt ist sie da? 

Sie ist 50 Jahre alt, als sie ihr Leben komplett auf den Kopf stellt und losfährt. Damals war 50 sein mit anderen Zuschreibungen belegt als heute. Mit 50, da war man eigentlich 1956 die Mutti am Herd.
 Oder die Mutti am Lenkrad (lachen). Ja, sie ist immer von Botschaft zu Botschaft gefahren, so hat sie sich in einem bestimmten Umfeld bewegt, um sich ein bisschen Sicherheit zu verschaffen. Trotzdem ist sie auch durch Wüsten gereist und hat sich Gefahren ausgesetzt, wie wahrscheinlich keine andere Frau zu dieser Zeit. 

Und die Fotos hat alle sie gemacht? 

Ja, die meisten Fotos hat sie selbst aufgenommen, mit einer Rollei Flex. 
 
In Damaskus wurde ihr bei einer Demonstration gegen die französische Kolonie die Kamera fast abgenommen, und ihr wurde an den Kopf geworfen: „Du bist Journalistin, gib die Kamera her!“ und sie hat geantwortet: „Nein, ich bin Deutsche, ich hab damit nichts mit den Franzosen zu tun!“
 Ihre Bilder sind heute alle aufbewahrt im Weltkulturenmuseum in Frankfurt. Mit meinem Buch wird Milli Bau wieder zurück in unsere Gegenwart geholt. Das war auch mein Anliegen und meine Motivation dieses Buch überhaupt zu schreiben. Sie war eine so interessante und spannende Frau, mit vielen besondern Eigenheiten. Ich finde sie muss in unserem heutigen Diskurs über das Reisen mit auftauchen! Vorallem ihre Tagebücher sind voll von tollen Geschichten. Und manchmal ist sie auch einfach nur verzweifelt, von all den Herausforderungen, die diese Reise mit sich brachte. Unwegsames Gelände, Verständigungsprobleme und immer die Sorge, dass das Geld nicht reicht. Also viele Probleme, die wir auch heute als Digitale Nomaden haben. Gerade heute, wo viele Menschen, aus den Büros raus, in die Welt gehen, in Vans leben und versuchen ihren Traum zu verwirklichen...
 
Erzähl uns doch deine Lieblingsgeschichte. 

Die sind alle toll (lachen).
1956 kommt Milli in Quetta/Afghanistan in ein großes Haus und wird von den Dienern hochherrschaftlich empfangen und ihr Sachen werden auf in das Schlafzimmer des Hausherren gebracht. Sie so: „Wow, was ist hier los? Solch eine Gastfreundschaft...“. Irgendwann kam dann der Herr des Hauses nach Hause und begrüßte sie. Sie übergibt ihm einige Briefe. Und er bemerkt, „die sind ja für Doktor Stolz.“ Und Milli darauf: „Und wer um Gottes Willen sind Sie?“ Er antwortet: „Nun ja, ich bin nicht Doktor Stolz.“ Sie war die ganze Zeit im falschen Haus und der Diener hat sie hielt für die Ehefrau des Hausherrn, die aus dem Urlaub zurückgekehrt ist (lachen).
Das sind einfach süße Geschichten, und so sind sie alle! 

Was ist dann passiert, konnte sie Dort bleiben? 

Naja, sie lässt die Enden der Geschichten oft offen, das finde ich auch schön, denn so lässt man der eigenen Fantasie noch freien Lauf. Jede Geschichte hat ihren eigenen Reiz. 

Hast du noch einen Favoriten? 

Sie sitzt in einem Sibirien Express und es kommt eine Frau in den Speisewagen, wunderschön. Milli bittet sie an ihren Tisch. Sie öffnen die erste Flasche Wein, reden, essen und trinken gemeinsam. Sie öffnen die zweite Flasche Wein und reden die ganze Nacht. Und das obwohl keine die Sprache der anderen verstanden hat. Diese Begegnungen sind zauberhaft. Vielleicht ist das zwischenmenschliche Kommunikation in ihrer schönsten Form. 

Was kannst Du über die Bilder sagen?

Milli fotografierte mit einer Rollei Flex, einer Mittelformat Kamera, die der Fotograf vor dem Bauch halten kann, da der Sucher oben an der Kamera angebracht ist. Dadurch sind die Aufnahmen so unmittelbar. Es gibt so keinen Gegenstand, der zwischen Fotograf und Fotografiertem ist. Der Fotograf kann sich mit seinem Gegenüber unterhalten und dabei fotografieren. 
Erzähle uns doch noch eine Geschichte.
Hier ist sie auf dem Kojakpass, das ist sehr hoch oben im Pamirgebirge. Der Pass ist tief verschneit und sie kommt mit dem Bus nicht weiter. Zufällig kommen ein paar amerikanische Ingenieure mit ihren Jeeps vorbei und helfen ihr. Plötzlich kommt ein Mann auf mit einem Fahrrad um die Passkurve. Die Ingenieure rufen ihm zu: „Are you crazy!“ Der Fahrradfahrer antwortet auf deutsch: „Was meinen Sie?“. Milli und der Fahrradfahrer kommen ins Gespräch und es stellt sich heraus, dass der er ein Bäcker aus Hamburg ist, der nun als Berichterstatter für das Hamburger Abendblatt unterwegs in Pakistan ist. Milli hat ja auch lange in Hamburg gelebt, das war einfach eine krasse Begegnung. Hoch oben im Pamirgebirge. 

Das hier ist in Pakistan, die berittene Polizei. Alles Frauen, die ihre Pferde so dressiert haben, dass sich sich hinlegen, um sie als Schutzschild vor sich zu haben. Das ist schon ziemlich cool. Vorallem fasziniert mich wie fortschrittlich 1956 das Frauenleben in diesen Ländern ist. Heute dagegen wirkt es fast rückständiger, als es 1956 war. 

Ist Milli auf dieser Reise nie etwas passiert? Hatte sie nie Angst? 

Milli hat ihre Ängste immer als Herausforderungen betrachtet. Und ja, sie war sehr mutig. Das schlimmste, was ihr auf der Reise passierte; sie rutschte im Hotelzimmer aus und brach sich ein Bein. Ich würde sagen, dass den Mutigen die Welt gehört. Es lohnt sich immer, sich auf den Weg zu machen und seine Träume zu leben. 

Du kennst Milli ja nur als ältere Frau, wie war sie da? 

Ja, das stimmt. Ich war noch ein kleines Kind, sie war da schon über 80. Wir sind jeden Sonntag zusammen mit meiner Mutter essen gegangen, chinesisch oder italienisch! Denn sie sprach ja beide Sprachen und konnt immer mit den Kellnern parlieren und ihre erlebten Geschichten zum Besten geben. Das hat ihr Spass gemacht. Diese kleine elegante 90 jährige Dame, das war schon sensationell. Ihr Grandezza ist für mich große Inspiration. So möchte ich auch mit 90 sein. 

 
Milli ist mit 99 Jahren gestorben. Wie ging es ihr am Ende ihres langen Lebens? 

Sie lebte am Ende ihres Lebens wieder in ihrer Geburtsstadt Darmstadt, in einer kleinen Zweizimmerwohnung, die der Senat ihr vermitelt hatte, denn sie war auch Eherenbürgerin von Darmstadt. Ihr gesamtes Archiv, alle Bilder, unzählige Bücher, Artefakte und vieles mehr, war bis unter die Decke gestapelt. Als 5 Jährige saß immer unter diesen Regalen mit den Bildkästen und habe versucht die Namen zu lesen. Afghanistan hab ich einfach nie hingekriegt, weil ich nicht wusste wie man es ausspricht... Abends hat Milli immer Rotwein mit Honig und Zimt getrunken, den sie auf ihrer MiniPantryKüche gekocht hat. Sie nannte ihre Wohnung selbst „Archiv mit Schlafgelegenheit für Mitarbeiter“. Sie selbst schlief bis an ihr Lebensende auf einem Britischen Feldbett, das in einer Ecke der Küche stand. 

Sie war bis zuletzt immer bei klarem Verstand. Das war für sie das Schlimme, ihr war bewusst, das sie alt wurde, das sie nicht mehr so konnte, wie sie wollte. Das Archiv sollte unbedingt vor ihrem Tod noch gut verwahrt sein. Leider wurde es dann nach ihrem Tod total zerpflückt. Was unglaublich schade ist. Für mich war das ein großer Anreiz dieses Buch zu machen, denn bislang gab es keine wirkliche Überschau von Texten und Bilder von Milli. Eigentlich war praktisch in Vergessenheit geraten. Ich wollte das Puzzle wieder neu sortieren und Milli zurück in unsere Zeit holen. Ihr steht ein wichtiger Platz in der Fotogeschichte und in der Reiseliteratur zu. 

Was hoffst Du, dass kommende Generationen aus deinem Buch mitnehmen? 

Freiheit und Mut, das tun, was man wirklich will. Es gibt immer einen Weg. Egal in welchem Alter man ist. Das fasziniert mich sehr: Milli war über 50 Jahre alt, als sie ihr Leben komplett umkrempelte. Ich wünsche ich mir, dass die Menschen mutig sind, offen für andere Kulturen und für andere Menschen sind, dass sie furchtlos ihr Herz in die Hand nehmen und die Kraft nutzen, die entsteht, wenn man losgeht! 

Das ist ein schönes Schlusswort. Vielen Dank für das Gespräch, liebe Julica. 

Danke Euch für das Gespräch. 

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