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Der Morgen – Breakfast on Mars

  • von Glenn Geffken und Julica Norouzi
  • 02 Sept., 2019

Der Weg in den Nationalpark zweigt von einer schnurgeraden Asphaltstrasse durch die Steppe ab. Ein verwaschenes Schild und eine Karte im Nirgendwo sind die einzigen Hinweise auf den Nationalpark. In dieser Steppe sieht die Landschaft unendlich weit gleich aus. Ebenes Land, allenfalls sanfte Erhebungen und Wermut-Kräuter soweit das Auge blicken, aber kaum begreifen kann. Die Farben des Himmels sind die einzigen Anhaltspunkte für Raum und Zeit. 

Ein Stück die Kuppe hinauf, sind kleine Rundbauten aus Ziegeln zu sehen. Das Auge freut sich über einen Seismograph für menschliches Leben. Es sind nomadische Friedhöfe, die seltsam verloren oft inmitten der Steppe stehen. Dort, wo die Normaden mit ihren Tieren lebten, sind sie auch begraben. In Hochgräbern aus einfachen, quaderförmigen Steinen aus Muschel-Sandstein. Diese Toten-Dörfer sind Einkehrorte und Heimat, denn nichts würde sonst an die Nomaden erinnern und an ihr Leben, das vom Zug der Herden und der Suche nach Wasser bestimmt ist. Kein festes Haus oder Hof bleibt, nur die bewegliche Jurte und die Tiere. Für ihre Kinder und Kindeskinder bedeutet dort, wo die Ahnen begraben sind, ist ihre Heimat. Oft sieht man ganze Familien, die ihre Ahnen besuchen, dort Picknicken oder meditieren. Die Köpfe der Toten schauen Richtung Mekka.
Wir nehmen uns die Zeit und gehen durch diesen Steingarten. Die Steine sind brusthoch zu Mauern um das eigentliche Grab errichtet. Wir können die Zeichen auf den Tafeln nicht entziffern, doch oft sind simple Zeichnungen oder Steingravuren angebracht und weisen die Toten als Schneider (Nähmaschine), Handwerker (Zange und Schraubenzieher) oder Hirte aus. Schamanisches mischt sich mit Muslimischen.
Cyril, unser französischer Motorradfreund, trägt seine neon-orangen Montur. Breite Schulterpolster, Zipper, schwere Boots und ein schwarzer Schutzhelm mit hochgeklappten Visier. Behäbig wie ein Astronaut stapft er zwischen den Gräbern umher, als würde er gegen eine erhöhte Schwerkraft angehen. 
Es ist schon früher Abend, als wir von der Strasse die den Nationalpark durchzieht abbiegen und in der staubigen Steppe auf Feldwegen weiterfahren. Hier und da sieht man ausgefahrene Tracks zwischen dem Steppengrass, doch um den Weg zu erkennen muss man ganz nah sein. Von weit weg, sieht alles gleich aus und man wäre ohne GPS verloren. Fahren wir über die staubigen Wermut Kräuter, steigt ein intensiver Duft auf, der wohltuend in dieser staubigen Hitze ist.
Über diese Pfade, die sich bis zum Horizont schlängeln, fahren wir weiter. Wir folgen unserem Freund Cyril immer tiefer in die Steppe hinein.
Nach einer halben Stunde fahren wir über eine Hügelkuppe und vor uns fällt die Landschaft steil ab. Ein gewaltiger Talkessel breitet sich vor uns aus, der links und rechts erst am Horizont endet. Cyril reist sich den Motorradhelm vom Kopf, springt vom Motorrad und schreit vor Begeisterung heulend auf. Die Felskante springt leuchtend weiss aus der Landschaft hervor. Die Depression der Landschaft liegt ca. 30 Meter unter uns. Eine Ebene aus Steppengrass und sanft geschwungenen Hügeln. Mitten in dieser Ebene ragen riesige Tafelfelsen hervor, wie Tortenschichten lassen sich an deren Seiten die verschiedenen Sedimentschichten ablesen. Unglaublich breit gefächert ist die Färbung der Gesteinsschichten. Weisser Kalk-Sandstein zeichnet zackige Linien in die Landschaft.
Es gibt keinerlei Hinweise mehr auf eine menschliche Existenz. Es gibt keine Strassen, Brücken oder Strommasten in dieser Landschaft. Es ist still, wenn wir verstummen und den Hang hinab blicken, keine rauschenden Autos in der Ferne. Nur der Wind, der kraftvoll zwischen den Felsen schreit und pfeift. Diese Landschaft hat alle Elemente, die uns bekannt sind und dennoch: diese Landschaft ist für uns ein anderer Planet.
In diesem Augenblick ist alles andere egal. Dieser Ort ist so atemberaubend, er soll unser Platz für die Nacht sein. Mit nichts anderem als mit diesem Panorama wollen wir einschlafen und aufwachen. Cyril freut sich bereits auf ein Breakfast on Mars.
Weit am Horizont ist eine weiße Fläche auszumachen. Vermutlich der Salzsee, denken wir, und dahinter muss es weiter gehen – zu den zwei Fingern – Bozzhira unserem eigentlichen Ziel.

Es sind zwei steil aufragende Felsspitzen, die wie ein Victoryzeichen der Natur in den strahlendblauen Himmel aufragen. Vor Urzeiten war das Ustyurt-Plateau von Meer bedeckt und die hoch aufragenden Felsen waren Spitzen im Meer. Sie sind aus weichen Sandstein und Wind und Regen formen die Landschaft, schleifen sie langsam zu Staub. Die beiden Felsnadeln ragen aus diesem Schleifprozess hervor, als Sieger über Zeit und Gezeiten. Bozzhira gehört zu den größten Sehenswürdigkeiten der Mangystau Region und ist ca. 200 km von der Küstenstadt Aktau entfernt, wo wir mit der Fähre von Baku, Aserbaidschan anlegten.


Mit der Dunkelheit legt sich der Wind. Trotz der kargen Vegetation ist die Luft erfüllt von Leben. Grosse Raubvögel, vielleicht Falken oder kleine Adler kreisen langsam über dem Hang und sogar Schmetterlinge tanzen über die Steppengräser, die sanft rosa in Blüte stehen. Die Sonne möchte sich gar nicht von diesem Anblick verabschieden und lässt sich viel Zeit auf ihrem Weg hinter den Horizont. Lange bleibt ihr Leuchten über den Felsen.
In der Dämmerung ist der Talkessel erfüllt vom Zirpen der Zikaden. Mit der Dämmerung kommt der Sternenhimmel. Wir stehen mit dem Smartphone an der Felskante und mithilfe der SternenApp SkyView lassen sich die bekannten Sternbilder ausmachen. Aber auch den Lauf des Hubble Teleskops und der Internationalen Raumstation ISS zeigt die App an. So haben wir den Sternenhimmel noch nie gesehen.
Tief in der Nacht gehe ich hinaus. Als ich die Tür des Wagens öffne, ist es fast taghell. Der Mond über uns scheint immer heller zu leuchten. Klar umrissen steht der große Ball über uns. Die Konturen des Wagens werfen einen Schatten auf den Boden und der Talkessel ist unverändert zu erkennen. Majestätisch ragen die Tafelberge hervor. Die Felsen zeichnen sich scharf gegen das Leuchten des Mondes ab. Die Dunkelheit der Nacht geht fliessend in den Weltraum über. Der Anblick ist entrückt, es wirkt als wären wir auf einem anderen Planeten gelandet. 
Doch Julica schläft unruhig im Wagenbett. Während mich die nächtliche Landschaft einlullt, mischt sich eine tiefere Dunkelheit in die Nacht. Ein Schatten der Vergangenheit, der sägt und nagt wie die Zeit an den Felsen um uns herum.  

Eine Vorahnung von Tod und Vergänglichkeit lauert zwischen diesen Felszacken und es scheint, als wären wir nicht in der ausgetrockneten Steppe der Gegenwart, sondern als wären wir unter die Jahrmillionen alte Meereslinie getaucht. Vom Meeresboden aus, schauen wir empor zu den Sternen. Bewusstsein und Unterbewusstsein sind hier am verschwimmen. Aus dunklen Quellen sprudeln Geister und Dämonen in die Traumwelt. Mare Nostrum.
Leise wiegen mich ihre Tränen in den Schlaf. 
Es bleibt spannend. Wie die Reise weitergeht, erfährst Du hier...
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