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Der Mittag – Die Wettergötter mögen keinen Salat Olivaer

  • von Glenn Geffken und Julica Norouzi
  • 03 Sept., 2019
Der Morgen kommt so schnell und leise, das ich ihn fast verpasse. Die Sonne steht bereits hoch über unserem Aussichtspunkt auf dem Talkessel. Ich bin noch im Dämmerzustand zwischen Traumwelt und Wirklichkeit. Die Wirklichkeit bedeutet in diesen Tagen oft viel aufräumen, verstauen, putzen, hervorkramen, reparieren und wieder verstauen. Ich bin froh, dass ich noch einen Moment weiter dösen kann. Der Platz neben mir ist bereits leer, Julica ist wohl schon aufgestanden. Die Sonne scheint mit Kraft auf den Wagen und ich muss hier bald raus, sonst wird es zu stickig...
Doch dieser Morgen ist, als ob ein dunkler Schatten über uns liegt. Eine schreckliche Ahnung lässt mich wieder aus meinen Dösen hochfahren: Aus dem Augenwinkel sehe ich Julica am Rand der Klippe stehen. Lange blickt sie in die Ferne und geht auf und ab. Fliegen brummen und kratzten an den Scheiben. Ich beobachte die Situation und bin erleichtert, als sie den Weg zurück zum Auto geht. Seltsame Ahnung. Es wird Zeit aufzustehen.

Auch Cyril hat schlecht geschlafen, zu laut heulte der Wind um sein Biwak-Zelt. Noch verschlafen von der unruhigen Nacht sind die Worte zäh und wollen sich nicht finden lassen.
Der Wind ist wieder pfeifend da und auch ein paar Wolken sammeln sich am Himmel. Wir sitzen auf unserem herrlichen Teppich aus Azerbaijan und versuchen den Ausblick zu genießen.  Und vielleicht vertreiben Pancakes und süsse russische Marmelade die Schatten der Nacht. Nach dem Frühstück steigen Julica und ich die zerklüftete Felskante langsam ins Tal  hinab dieses unglaublichen Canyons.
Der Stein ist porös und beseht aus vielen dünnen Schichten, knusprig wie Blätterteig. Wir kommen an einen Abhang der in sanft geschwungene Ausläufern auf das nächste Plateau übergeht. Der Regen hat hier alles Kantige sanft und glatt geschliffen bis die hellen Felsen aussehen wie Buttercreme.

Auf den ersten Blick erscheint die Landschaft öde und mager, doch wie so oft trügt der Schein und Mutter Natur ist üppig und ausladend. Ich schaue immer wieder suchend zwischen die Steinplatten. Wir haben viel über Fossilen, Amonite und versteinerte Muscheln gehört, die hier leicht zu finden sein sollen. Doch wir gehen leer aus.
Zwischen den Hügeln liegen lediglich die Knochen eines Tieres, eines größeren Säugetiers, vielleicht die eines Ponys oder eines jungen Rindes. Die Wirbelsäule leuchtet in der Form eines Fragezeichens im Staub. Ein bisschen gruselig ist unser Ausflug in die prähistorische Landschaft und man kann sich vorstellen, wie die Menschen vor tausenden von Jahren Schutz unter Felsvorsprüngen suchten. Wir haben wieder Urzeitgefühle. Die Sonne wird immer heisser und in meinem Kopf schreit  Geri Haliwell, It‘s raining Men.  Es wird Zeit umzukehren.
Wir packen unser Lager zusammen und fahren mit Cyril zurück zur Hauptstrasse. Die Sonne steht matschig flimmernd am Himmel. Etwas weiter die Strasse hinab folgen wir unseren GPS Daten einer Dirt Road in die Steppe hinein. Bozzhira – zwei Finger, die beiden Felsspitzen liegen mitten in diesem gewaltigen Talkessel, neben einem Salzsee.
Wieder folgen wir den gewundenen Pfaden zum Horizont bis sich die Umgebung verändert. Felsen kündigen den nahen Abstieg ins Tal. Ein steiler und steiniger Weg führt in scharfen Kurven hinab. Wir halten.
Kumuluswolken hatten es bereits angekündigt: es sieht nach Regen aus. Cyril beschließt schweren Herzens, nicht mit uns hinab in den Talkessel zu fahren. Aus seiner Erfahrung im Wüstensand Marokkos, kennt er die Unwägbarkeiten des Untergrundes. Das Risiko auf Regen ist ihm zu hoch. Er wird entweder warten oder wir treffen uns an einem verabredeten Punkt später entlang der Strecke wieder.

Wir zucken die Achseln. Die Sonne scheint und es schleichen ein paar dunkle Schatten über die Ebene. An den Ränder, wo sie ausfransen, regnet es sachte. In unserer Unerfahrenheit präsentiert sich das Wetter als vorübergehend und höchstens die Oberfläche benetzter Sprühregen.
Wir legen den Allrad ein und schieben uns langsam den holprigen Pfad hinab. Im großen Bogen fahren wir durch den Talkessel ins Nirgendwo und lassen die rot geäderten Felsen hinter uns. Die Ebene erstreckt sich soweit das Auge reicht. Es geht weiter und weiter. Die Ausdehnungen hier sind gewaltig. Auf  MapsMe unserer Kartenapp, scheint es nur ein Katzensprung zwischen zwei Punkten zu sein, doch bei den Wegverhältnissen dehnt sich die Zeit. Es ziehen dichtere Wolken auf, bald wird es felsiger. Der helle Boden ist bedeckt von kleinen schwarzen Kieseln, gleichmässig wie Schokostreusel bedecken sie die strahlend weiße Oberfläche.
In der Ferne ist bereits der riesige Tafelberg zu sehen, aus dessen Ausläufern die beiden Felsnadeln Bozzhira herausstechen. Der Himmel ist mittlerweile schiefergrau, die Sonne bricht nur hier und da durch die Wolkendecke und wirft löchrige, helle Punkte auf die Landschaft. Durch das Grau des Himmels leuchten die weissen Felsen umso mehr.
Die beiden Felsspitzen lassen sich nicht in Worte bringen. Hoch wie Wolkenkratzer, kantig zerklüftet. Das Auge sucht nach Formen, Mustern, Ornamenten oder irgendetwas, das einer abstrakten oder konkreten Ähnlichkeit gleicht. Die Natur hat hier etwas hervorgebracht, für das mein Vokabular kaum reicht. Den Felsen wohnt etwas chaotisches und gleichzeitig streng Geordnetes inne.

Es sind Felsen und Felsen sind Felsen, sind Felsen. Die Felsen sind ohne Bewusstsein und dennoch ist ein ordnender Gestaltungswille überall zu spüren. Entropie. Das streben nach dem energieärmsten Zustand.
Wir machen wie begeisterte Touristen – die wir sind – Fotos aus allen möglichen Winkeln. Springen und Klettern auf den Felsen und können doch keinen angemessenen Umgang mit dieser Naturgewalt finden. 
Wir fahren weiter Richtung Salzsee, um zu Mittag zu essen. Julica hat am Abend zuvor Salat Olivaer gemacht und nun ist dieser im richtigen Seinszustand, um verspeist zu werden.

Auf der Karte scheint die hellbraune Fläche des Sees ganz nah. Dicht in der staubigen Wirklichkeit ist nicht der Hauch einer Ahnung von einem See auszumachen. Sanft schwingen sich die Hügel auf, bedeckt mit Steppengrass. Hinter jeder Biegung könnte sich ein ganzer Wald verstecken, ohne das er aus unserer flachen Perspektive sichtbar wäre.
Der Himmel ist bedrohlich dunkel. Die ausgefransten Wolkenfetzen schieben sich von drei Seiten an uns heran. Wir fahren von einem der ausgetreten Pfade und schieben uns einem Lehmwall hinauf. Weitere Lehmwälle wiederholen sich wellenförmig.

Dahinter muss der Salzsee sein, von dem wir viel gehört und bisher nichts gesehen haben. Der Boden ist übersät mit Muschelschalen und endlich sehe ich auch kleine versteinerte Kriechtiere. Wir holen Besteck und Salat und wollen es nach dem Essen weiter versuchen.

Wir sitzen in dieser Einöde und es schmeckt. Bis die ersten Tropfen schwer und satt auf die Frontscheibe knallen. Die dunkle Wolkenfront hat sich bis an das Heckfenster heran geschoben.
Die Kartoffeln sind gut angemacht. Erbsen, Eier und Mayonnaise sind eine sämige Verbindung eingegangen. Wir blicken uns zufrieden und mit vollen Backen an. Mit einem Mal wird der Rückspiegel von einem Blitz geteilt. Der Blitz reicht vom Steppenboden bis zum Himmel. Sekunden später rollt der Donner mit kraftvollem Bass von den Felswänden hinab. Uns vergeht augenblicklich die Lust auf Salat Olivaer. Der Regen knallt immer lauter und stärker auf das Dach und die Fenster. Der helle staubige Boden färbt sich Dunkel.

Wir wollen jetzt  hier weg und zwar schnell. Zurück auf einen der Wege, der uns hier aus diesem Tal hinausführen wird. Eine unglaubliche Bedrohung und Spannung liegen in der Luft. Wir ruckeln los. Der Regen läuft in Bächen die Frontscheibe herunter. Es ist kaum etwas zu erkennen.  Das Wasser kann nicht in den kalkigen Boden eindringen, sammelt sich an der Oberfläche und wie aus dem Nichts bilden sich in Kuhlen und Senken auf einmal Pfützen und sogar kleine Bäche. An einer Bodenwelle rauscht nun ein richtiger kleiner Strom entlang.
Wir fahren noch ein Stück und halten noch einmal, um unseren halb gegessenen Salat Olivaer zu verstauen. In Richtung Salzsee ist der Himmel tiefschwarz und sieht aus wie das Zentrum von Mordor. Auf einmal donnert es wieder. Der Wind pfeift und wirbelt Sandwolken in unsere Richtung.  Deutlicher könnten uns die Wettergötter nicht zu verstehen geben,  wir sind hier nicht willkommen.
Wie war das nochmal mit Gewitter und Autos? Und funktioniert der faradaysche Käfig eigentlich  auch bei Aluminium? Funktioniert das nur während der Fahrt und wie ist das eigentlich bei Motorradfahrern wie Cyril?

Wir sind auf jedem Fall der höchste Punkt in der Landschaft. An diesem Tag soll es nicht sein, das wir zum Herzen des Talkessels mit seinem Salzsee vorstossen und so schwenken wir wieder auf den Rückweg ein. Doch das Gewitter hat noch nicht genug. Es sammelt weiter Kraft und streckt seine mächtigen schwarzen Ausläufer über alle Teile des noch blauen Himmels. Wir fahren der mächtigen Regenfront davon, der Rückspiegel ist schwarz, während die Frontscheibe dem noch letzten freien Stück Himmel entgegenfährt.
Wir fahren so schnell wir können über die Wege und Buckelpisten. Eine kleine Senke ist nun ein reissender Fluss und wir erleben wie gut es ist, einen Schnorchel zu haben, denn bei einer solchen Wasserhöhe, wäre sonst der Motor einfach ersoffen.

Oftmals wirkt solches Off-Road-Equipment in der Stadt überdimensioniert, hier wären wir ohne es verloren und das Auto einfach kaputt. Tief durchatmen und mit viel Schwung durchqueren wir den Fluss. Das Herz klopft im Takt der Regentropfen an der Heckscheibe. Und tatsächlich scheint das Gewitter dieselbe Geschwindigkeit zu haben wie wir und so schiebt sich die dunkle Wand beim Blick über die Schulter immer weiter mit.
Bald haben wir wieder die rotgeäderten Felsen der Talkante erreicht. Hier haben wir uns Stunden zuvor von Cyril verabschiedet. Auf der asphaltierten Strasse gewinnen wir schnell an Vorsprung vor dem Gewitter. Churchill macht seine Sache sehr gut und wir schaffen es unbeschadet aus dem Nationalpark heraus, wieder auf eine der wenigen befestigten Straßen. Ein dumpfes Gefühl des Angst bleibt, doch diesmal ist alles gut gegangen. Wir treffen Cyril am Nachmittag an der Moschee Beket Ata wieder, dem "Mekka" West-Kasachstans. Wir dürfen dort die Wasservorräte füllen, doch zur Mosche hinabsteigen, können wir nicht, da sie zu dieser Zeit geschlossen hat. 
Auf keinen Fall will Glenn die Nacht bei der Moschee verbringen, es soll weiter gehen, etwa 70 km durch die Steppe (vielleicht sind es auch 100km, so genau weiss das keiner) liegen vor uns. Wir wollen einen Salzsee erreichen und dort soll unser Nachtlager sein.
Doch die Götter der Steppe haben etwas anderes mit uns vor.
Wie es weitergeht, erfährst Du hier...
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