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Hangabwärts in Anatolien

  • von Glenn Geffken und Julica Norouzi
  • 13 Juli, 2019
Es fällt leicht nachzuvollziehen, warum Griechen und Römer am Hang in Pamukkale eine Stadt errichtet haben: warmes Quellwasser sprudelt aus dem Berg und verdunstet an den Hängen und bildet so unzählig leuchtend weisse Kalkterrassen, in denen sich das türkis blaue Wasser sammelt. Baden, eine Lieblingsbeschäftigung der alten Römer ist hier das Naheliegendeste. Der Blick über die Ebene darunter ist atemberaubend. Endlos erstreckt sich die Ebene. Kein Baum, kein See, kein Wald stört den Blick. Am Horizont erheben sich dafür um so eindrucksvoller schneebedeckte Gebirgszüge. Wie auch das Orakel von Delphi scheint hier die magische Energie der Natur den Impuls gegeben zu haben, eine heilige Stätte zu errichten. Und wie in den Ländern des Balkans scheinen auch hier die besten Plätze für die Toten der Gemeinschaft reserviert zu sein. Der Friedhof ist eine ganze Totenstadt in bester Hanglage.
In Pamukkale ist das Klima wohltuend, nach den letzten kargen und windigen Tagen. Alles erscheint mild und sanft. Die Hügel sind mit frischem Grün überzogen und aus diesen grossen klaren Flächen stechen die Grabmale der antiken Totenstadt um so stärker hervor. Wir wandern durch die übereinander gewürfelten Sarkophage und Gruften. Rundgräber sind mit frischem Grün bedeckt. Das ganze wirkt so klar, kantig und grafisch. Während wir durch die Wildblumen laufen, wird mir klar, das dies das magische Königreich Hyrule ist. Untergegangen vor tausenden Jahren, beherrscht vom Tyrannen Ganon, Prinzessin Zelda, Link… Alles wirkt so liebevoll drapiert und integriert, als müssten wir nur weiter zwischen den Ruinen Moblinge in die Flucht schlagen, Rätsel in unterirdischen Schreinen lösen und zu Flötenklängen weiter den nächsten Quest folgen. DIES ist die unendlich, offenen Spielwelt von The Legend of Zelda: Breath of the Wild.
Die Landschaft nach Pamukkale ändert sich schnell. Das Milde und Sanfte wird schnell abgelöst von braunen, kleinen Grassteppen und flachem Marschland. Salz wird hier auf riesigen Feldern abgebaut. Der Wind wird wieder schneidender.
Wir fahren über Cay in Richtung Konya um weiter nach Kappadokien zu gelangen. Die Landstrasse führt schnurgerade durch eine unglaublich weite Ebene, nur begrenzt von schroffen Gebirgszügen. Der Frühling hat sich wieder hinter diesen Horizont zurückgezogen. Der Himmel ist grau und windig. Wir sind auf einer Hochebene in 1000 Metern Höhe. Die Gipfel sind schneebedeckt und in den Ebenen herrschen braune trockene Sträucher. Ein paar kahle Bäume stehen am Strassenrand. Wir kommen gut vorwärts und reihen uns ein in den Rhythmus der LKWs und Kleinbusse.
Irgendwann wird uns dieses Mitschwimmen zu eintönig, liegen doch die schönsten Schotterpisten und windigen Bergstrassen doch so nah.

Kurzentschlossen verlassen wir die Landstrasse und biegen auf einen Feldweg ab. In langen Kurven schlängeln wir uns langsam durch diese leere Landschaft. Das ist schon eher wie, wir uns eine abenteuerliche Fahrt durch Anatolien vorgestellt haben. Eine große Schafherde grast am Hang und der Hirte winkt uns freundlich überrascht zu. Merhaba! Allemangna?
Die Landstrasse ist nicht mehr zu sehen, die Schafe sind hinter der letzten Kurve verschwunden. Die braunen Hügel schmiegen sich um uns, besprenkelt mit weissen Steinen. Die Reifenspuren vor uns sind die letzten Anhaltspunkte, für menschliches Leben. Auf der nächsten Hügelkuppe müssen wir anhalten und aussteigen, zu umwerfend ist der Anblick der sich uns bietet.
Diese Landschaft könnte alles sein. Mongolei, Afghanistan, Ural oder die Anden.
Bald enden die Fahrspuren und wir haben die Hügel für uns allein. Weit unten, zwischen zwei Hügeln entdecken wir die Landstrasse und weisse Lastwagen schieben sich langsam darauf entlang. Wir müssen diesen überwältigenden Augenblick mit anderen teilen, damit uns selbst davon überzeugen können, was wir hier vor uns haben.
Warum umdrehen und denselben Weg zurückfahren? Wir haben doch Churchill und sein Allrad. Direkt vor uns fällt der Hügel sanft ab. Zwischen unserem und dem nächsten Hügel zieht sich eine Rinne entlang, die bei Regen Wasser führt. Langsam rolle ich vorwärts, den Hügel hinab. Nach zehn Metern gibt es kein Umdrehen mehr. Der Hügel ist von hier aus so steil das Churchill Probleme haben würde, hier wieder hochzukommen. Wir fahren weiter. Die Hügel schieben sich nun bedrohlich zusammen und wirken von hier sehr viel steiler und zerklüfteter als noch von der Kuppe aus. Ob das jetzt eine gute Idee ist weiterzufahren?
Julica findet das ganze eh überflüssig und gefährlich. Doch umdrehen geht jetzt nicht mehr. Es wird auch nicht besser als wir im ausgetrockneten Flussbett angelangt sind. Grosse Steine machen das Vorwärtskommen zu einem mühseligen Gehüpfe. Es kracht und scheppert unter uns. Die beiden Hügel bilden nun einen Trichter, und dieser verjüngt sich zum Ausgang hin, wird nun auch noch steiler, anstatt flacher und zu allem Überfluss blockieren nun grosse Felsbrocken den Ausgang ins Tal.

Langsam kommen wir ins schwitzen. Aussteigen und den Weg vor uns prüfen. Es gibt die Möglichkeit über den anderen Hügel hinauf, um ein ein paar Felskanten herum, hinter die blockierenden Felsbrocken zu gelangen. Mit Untersetzung und gesperrtem Differential und viel Gas schieben wir Churchill soweit den Hang hoch bis der Motor absäuft. Julica rennt nun vor dem Wagen her, um den Weg auszuloten. Schreit ins Walkie-Talkie, ist den Tränen nahe, rutscht immer wieder auf dem steilen Geröll aus. Es fängt an zu nieseln und ein schneidender Wind pfeift. Das ist wirklich ein echt verfahrene Situation.

Es bleibt uns nicht anderes übrig. Wir müssen den Wagen auf der Stelle wieder hangabwärts drehen, um hinter die Felsbrocken zu gelangen. Es wird steiler und steiler. Felskanten ragen daraus empor wie Stacheln. Wir verständigen uns abgehakt mit den kleinen Funkgeräten, mit viel Winken und Handzeichen. Uns steht die Anspannung im Gesicht. Der Wagen ist vollbeladen und mit dem Gewicht des Dachträgers, des Dachzeltes, Reservekanister und allerlei Gepäck und Ausrüstung haben wir den Schwerpunkt zu weit nach oben verschoben.

Die Gefahr, den Wagen aus dem Gleichgewicht zu bringen und zu kippen ist augenscheinlich. Und das wäre das Schlimmste, was beim Off-Road Fahren passieren kann. Julica heult nun fast vor Angst. Vom Fahrersitz aus kann ich nicht viel sehen, ausser Felsen, Kanten und noch mehr Felsen. Der Wagen neigt sich weiter nach vorne. Alles was lose hinter den Sitzen verstaut war, rutsch nun unkontrolliert nach vorne, doch das ist jetzt nicht wichtig.
Dieser Moment gräbt sich in unser Herz. Der Wagen steht nun in einer solchen Neigung, wie es physikalisch eigentlich gar nicht mehr möglich sein kann. Tausend Gedanken gehen mir gleichzeitig im Kopf herum. Er könnte genau jetzt seitlich über die Felsen rollen und sich in das Flussbett überschlagen. Entgegen allem Wissen, trete ich das Bremspedal voll durch. Meine Beinmuskeln fangen an, vor Anspannung zu zittern.

Julica springt rutschend und zitternd über die Felsen vor dem Wagen hinab, um den Weg zu überblicken. Die Stimmen klingen verzerrt durch die Walkie Talkies. Der Wagen schlingert mehr den Hang hinab, als zu rollen. Die Wasserrinne vor uns vertieft sich auch noch zu einem ausgewaschenen Graben. Wieder muss der Wagen auf der Stelle, langsam gewendet werden. Jetzt rutschen wir so schnell den Hang hinab, dass Julica hinterherrennen muss. Sie stolpert und rutscht immer wieder aus. Es scheppert und kracht und Julica schwört, das der Wagen mit zwei Reifen in der Luft hing.

Endlich wird das Gelände ebener und wieder etwas bewachsener. Wir können die Strasse und Strommasten sehen. Für einen Moment können wir stehen bleiben und Atem schöpfen. Ich traue mich nicht, mich umzuschauen und das grosse dunkle Loch hinter uns zu begutachten aus dem wir uns so mühsam heraus gekämpft haben. Als ich es dennoch tue, bin ich überrascht wie sanft und unschuldig dieser Abhang wirkt. Kein Foto kann dem gerecht werden, wie felsig, angespannt und gefährlich dieser Abstieg war.

Hirten haben eine Steinmauer aufgeschichtet. Uns bleibt nichts anderes übrig, als diese umzuwerfen, um uns den Weg weiter abwärts zu bahnen. In die Aufregung mischt sich das schlechte Gewissen, die Bemühungen, jemand anderes harte Arbeit leichtsinnig zu zerstören. Doch in dieser Situation gibt es für uns keinen anderen Weg und im Grunde sind es doch nur Steine. Es ist unglaublich, welches Terrain Churchill schafft, zu befahren. Unsere Grenzen sind an diesem Punkt schon weit überschritten. Julica ist am Ende ihrer Nerven und ihrer Kraft angelangt. Sie ist so sauer, dass ich uns durch meinen Überschwang in echte Gefahr gebracht habe und eigentlich die ganze Reise aufs Spiel gesetzt. Aus ihrer Perspektive muss die ganze Sache noch brenzliger ausgesehen haben. Beide können wir kaum glauben, was wir da eben gemeistert haben. Daneben sähe 4x4 Action-Australia nicht viel besser aus. Mir ist mulmig und aufgekratzt zugleich. Das Adrenalin hinterlässt unweigerlich ein debiles Grinsen im Gesicht. Wir haben es geschafft!
Doch beide schwören wir uns, eine solche Situation nicht mehr hinauf zu beschwören. Allein in der Natur ist es doch so ganz anders, als im gut überschaubauren Off-Road Park. Das war uns eine Lehre.
Es bleibt spannend. Wie die Reise weitergeht, erfährst Du hier...
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