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Hoşgeldiniz – eine Liebeserklärung an die Türkei  

  • von Julica Norouzi
  • 30 Juni, 2019
30. März 2019, morgen sind Kommunalwahlen in der Türkei. Ein wichtiger Termin für die Regierung und ein Seismograph für die weiteren Entwicklungen. Wir wollen morgen über die Grenze, denn wahrscheinlich gibt es heute wichtiges als zwei Touristen mit einem alten Auto.

Ich habe Sorge vor den politischen Entwicklungen in der Türkei. Sogar das Auswärtige Amt warnt auf seiner Seite: “Festnahmen und Strafverfolgungen deutscher Staatsangehöriger erfolgten vielfach in Zusammenhang mit regierungskritischen Stellungnahmen in den sozialen Medien. Ausreichend ist im Einzelfall das Teilen oder „Liken“ eines fremden Beitrags entsprechenden Inhalts. Es muss davon ausgegangen werden, dass auch nichtöffentliche Kommentare in sozialen Medien etwa durch anonyme Denunziation an die türkischen Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet werden. Im Falle einer Verurteilung wegen „Präsidentenbeleidigung“ oder „Propaganda für eine terroristische Organisation“ riskieren Betroffene ggf. eine mehrjährige Haftstrafe.”

Meine Sorgen sind also nicht ganz unbegründet. Ich habe einen ganzen Tag lang meinem Facebook Account "geputzt" und alles, was auch nur irgendwie falsch verstanden werden könnte, gelöscht. Auch wenn mir diese Selbstzensur absolut widerstrebt. Glenn wird seinen Account komplett stilllegen und doch streiten wir über meine Angst und er wirft mir  "vorauseilendem Gehorsam" vor.

In einem kleinen Dorf bei Alexandropouli finden wir ein Internet Café. Dort sitzen die Männer des Dorfes gemütlich beisammen, manche daddeln am Computer, manche schauen Fußball im Fernsehen oder spielen Baggammon. Keine Frau ist zu sehen. Der Wirt ist sehr freundlich, spricht ein paar Brocken Englisch und Deutsch. Ich trinke ein leckeres Bier und beobachte diese lustige Männerkita und denke darüber nach, dass es unbedingt in Deutschland eine Renaissance der Eckkneipe geben sollte, denn Einsamkeit im Alter scheint es in Griechenland nicht zu geben.

Wir schlafen in der Nähe des Dorfes auf einem verlassenen Grundstück am Meer. Der Wind heult und es ist kalt. Meine Sorge vor der Grenzüberquerung steigert sich in eine kleine Panik und Glenn und ich streiten uns.

Am nächsten Morgen fahren wir zur Grenze. Unruhig sitze ich im Auto. Doch die Grenzer sind alle freundlich, die Prüfung des Autos etwas langwierig aber doch oberflächlich. Das Wort, das wir am meisten hören ist:   Hoşgeldiniz – Willkommen in der Türkei
Seltsam und da ist es wieder, dieses Gefühl, dass durch die Medien ein großer Trubel und vor allem Angst auf vielen Seiten geschürt wird. So viele Leute in Deutschland sagten uns noch vor der Reise: „Was? In die Türkei wollt ihr, das würde ich jetzt nicht machen…“

Und nun im Nachklang der Reise denke ich darüber nach, welch schlimme Rolle die Medien in der Welt heute einnehmen und so die Menschen voneinander entfernen. Durch diese Art der Kommunikation entsteht mehr Trennung und Angst als Wissen. Wir sind sehr froh, fast zwei Wochen durch die ganze Türkei gereist zu sein, denn die Freundlichkeit, Offenheit und unglaubliche Gastfreundschaft der Menschen dort, hat uns verzaubert wie in keinem Land zuvor.

Ich wünsche mir, dass alle Leute in Deutschland den Türken dort so begegnen würden, wie sie uns in der Türkei begegnet sind. Eine solche Aufgeschlossenheit, Hilfsbereitschaft und freundliches Interesse haben wir selten in unseren Leben erfahren.

Unsere Liebeserklärung in Bildern

Wir überqueren den Bosporous. Mit der Fähre geht es nach Canakkale. Nun sind wir auf Asiatischem Boden. In dieser Meerenge endet also Europa und Asien beginnt. Es fühlt sich richtig an hier zu sein.
Mustafa hat in den 1960er Jahren im Ruhrgebiet gelebt und gearbeitet. Seine Entscheidung war es, wieder zurück nach Anatolien zu gehen. Er freute sich, mit uns ein paar Brocken Deutsch zu sprechen. 
Hier deutet sich schon an, dass wir bald Probleme mit der Kupplung haben werden. In Izmir erleben wir große Hilfsbereitschaft. 
Wir treffen Menderez in der Karawanserei von Sultanhami, Zentralanatolien. Er spricht mit leicht schwäbisch-allmanischem Akzent Deutsch, denn er lebte lange in Reutlingen. Er handelt – wie schon sein Vater – mit Teppichen und wir besuchen ihn und seine Frau zu Hause. 
Am Hang in Anatolien erlebten wir ein mittelgroßes Off Road Abenteuer. Hier gehts zum Artikel
In der Werkstatt von Mert bekommt Churchill binnen zwei Tagen eine neue Kupplung. Die Ersatzteile werden noch am Freitagnachmittag in Ankara bestellt, treffen am Samstag morgen ein und am Nachmittag können wir schon weiterfahren. Derweil bietet uns Mert an, in der Werkstatt zu schlafen, gibt uns den Schlüssel und wir können dort im Auto bleiben. Einen solchen Service kann man sich in Deutschland nur wünschen.
Kappadokien ist sehr hübsch, aber noch besser gefällt uns das Ihlara-Tal, das touristisch fast unberührt einen eigenen Charme hat. Dort gibt es viele frühchristliche Kirchen und heilige Orte. Diesen Tip gab uns Menderez. So wie wir immer von einem Ort zum nächsten durch gute Tips von netten Leuten "weitergereicht" worden sind. Reiseführer haben wir überhaupt nicht dabei. Abgesehen davon, dass mehr als 10 Bücher einfach zu viel Platz im Wagen nehmen würden, fühlt es sich für uns richtig an, jede Region und ihre Eigenheiten selbst zu entdecken. 
Im Ihlara Tal treffen wir David aus Barcelona, der mit seinem alten Toyota unterwegs nach Iran ist. (@campoatraves) Ross und Paxton (@ugly.armadillo) kommen aus Amerika und fahren seit Januar 2018 mit dem Fahrrad Richtung Singapur. 
Die Schwarzmeerküste mit ihren Teeplantagen um Samsun und Trabzon ist hinreissend schön. Doch zum Baden ist der große Schwarzmeersee im April noch viel zu kalt. 
Wir haben nette Begegnungen mit den Strandhunden und mit Bettina und Rainer aus Waiblingen, die in ihrem Hanumag Oldtimer leben, alles in Deutschland aufgegeben haben und durch die Welt reisen. Ihr nächstes größeres Ziel ist Iran und von dort aus geht es weiter Richtung Asien.  
Ein echt anatolisches Abenteuer erwartet Dich hier...
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