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Schwieriges Georgien 

  • von Glenn Geffken
  • 14 Juli, 2019
Es heißt, Liebe geht durch den Magen. Aber was, wenn alles was du trinkst, was du isst, probierst oder kostest mit dem Gefühl begleitet wird, es könnte dir schaden? Es könnte sich auf deinen Magen, deine Verdauung und deinen ganzen Körper negativ auswirken? Dann ist da kein Vertrauen mehr, dann ist da keine Liebe mehr, dann ist da nur noch Fremde in dir.

Georgien sieht sich oft als Balkon Europas. Welch desaströses Bild, wenn ich mir die verfallenen, morschen Balkone an Tiflis Häusern anschaue. Kein Wunder, dass die ganze Altstadt gesperrt und aufwendig saniert werden muss, da das meiste an Substanz einsturzgefährdet ist. Ein alter Name für Georgien ist Das Ende der Welt und das ist vielleicht der passendere Begriff für dieses Land. In der Sagenwelt des Odysseus reist dieser an den Rand der Erde zu Teiresias, um ihn in der Schattenwelt zu seinen bevorstehenden Gefahren für die Heimreise nach Ithaka zu befragen. Als Opfergabe gibt es frisches Blut. Beschrieben wird das Ende der Welt als schroffe Felsenküste, welche den Rand der bekannten Welt scharf abschneidet und in ein unendliches Nichts übergeht, aus dem die Schatten der Toten kommen.  

Wir sind auf dem Weg nach Gori und niemand winkt uns zu. Um uns herum stehen drei Polizeiautos und sechs Polizisten beratschlagen sich neben unserem Mietwagen, was zu tun sei. Es ist niemand verletzt oder zu schaden gekommen. Wir sind lediglich beim falsch Abbiegen über eine weiße, durchgezogene Linie gefahren. Die Polizisten sind höflich, aber als ich meinen vergessenen Führerschein in der anderen Jackentasche erwähne, wird es kompliziert.

Nach einer halbstündigen Beratung und vielem hin und her lautet das "salomonische" Urteil der georgischen Polizeibürokratie, dass wir beide eine hohe Geldstrafe bekommen: ca. 300 Euro für den nicht vorhanden Führerschein und ca. 450 Euro für Julica, da sie so verantwortungslos war, jemanden ohne Führerschein den Leihwagen zu verantworten. Man sagt uns, die Strafen würden hinfällig, wenn wir in einer Polizeistation den Führerschein nachzeigen würden, dann wären lediglich sechs Euro Strafe für das Missachten der durchgezogenen Linie fällig. So weit so gut und soweit „vernünftig“. Zu was für einem ausgewachsenem Wahnsinn das Ganze ausarten wird, ist uns da zum Glück noch nicht bewusst.

Am nächsten Tag fahren wir wir mit allen möglichen Papieren zu der kleinen Polizeistation in der Nähe unseres Apartments. Das Gelände der Polizeistation erinnert an einen Unicampus mit Bäumen, Parkplätzen und zweistöckigen Bürobauten, die sich zum verwechseln ähnlich sehen.
Wir werden weitergereicht bis eine georgische Polizistin etwas Englisch versteht. In einen kargen Raum sitzen zwei ältere Polizistinnen an ihren Schreibtischen. Es riecht nach Alkohol,  eine der beiden Frauen ist augenscheinlich betrunken und sichtlich ungehalten davon, dass sie dabei von uns gestört wird. Ihr fehlt die komplette untere Zahnreihe, unterbrochen von einzeln aufragenden Goldstummeln. Sie redet erregt  auf uns ein und steht dabei wild gestikulierend auf, tritt hinter ihre Kollegin und schaut dann nachdenklich aus dem Fenster. Alles was uns verständlich wird, ist das das simple Vorzeigen des Führerscheins nicht reicht und wir mit einem Übersetzer zurückkommen sollen. Der Frau steht eine gewisse Anspannung im Gesicht, die Ungutes verheisst. Unsere Haltung war zu anfangs noch, zerknirschte Einsicht zu zeigen und bemüht den Schaden so gut wie möglich zu beheben. Nun staunen wir nur noch ungläubig. Was wird hier mit uns gespielt? Wir stehen im gelbgestrichenen Flur der Polizeistation. Was können wir tun? Wieder im Auto beschließen wir, die siebzig Kilometer nach Gori noch einmal zu fahren und es bei der dortigen Polizeistation zu versuchen.

In Gori gibt es mehr als drei eingezeichnete Polizeistationen.  Wir versuchen es bei der nächsten und  stoßen auf interessierte Gesichter. Doch diese erklären schnell, wir im Mord- und Totschlagdezernat gelandet sind und sie nicht zuständig für unsere Angelegenheit seien. Unsere Odyssee führt uns zu einer vielbefahrenen Kreuzung mit einem blauen Würfel aus Glas mit bewachtem Parkplatz. An der ersten Würfelseite wehrt uns eine Sicherheitskraft in Tarnkleidung ab und verweist auf die nächste Seite.Dort angekommen, steht ein weiterer Sicherheitsmann in Tarnkleidung, dem ersten zum verwechseln ähnlich sieht und verweist wieder auf die nächste Seite des blau schimmernden Glaswürfels.

Endlich können wir so etwas wie ein Eingangsportal ausmachen, dieses ist seltsamerweise zweigeteilt und gespiegelt. Ein identischer Doppeleingang mit eigener Treppe, eigener Glasfront und eigenem Empfangsbereich auf der linken, wie auf der rechten Seite dahinter.
Wir versuchen es mit der linken Tür und geraten an einen stiernackigen Polizisten in blauer Uniform und blank polierter Glatze. Hier herrscht geschäftiges Treiben aus klingelnden Telefonen, Gesprächsfetzen und hin- und hereilenden Polizisten  in blau. Wir halten unsere Strafzettel wie Einkaufsbelege in der Hand und versuchen unser Anliegen vorzubringen, doch schnell macht der Polizist eine Handbewegung, die auf die rechte Seite des Gebäudes weist. 

Im rechten Eingang hinter der Glastür ist ein Schalter, hier sitzen drei Polizisten in blau, wieder stiernackig und mit polierten Glatzen. Wir wedeln mit unseren Strafzetteln. Keiner spricht Englisch und keiner hat Lust auf unsere ÜbersetzungsApp zu schauen. Sie verweisen mit deutlichen Handbewegungen zur Tür hinaus. Wir sollen wieder rechts gehen. Das ganze ist so absurd, das es uns schwer fällt zu glauben, dies sei real.

Der Würfel hat tatsächlich eine weitere Seite und einen weiteren Eingang, identisch mit den beiden anderen. Wir gehen die Treppen hinauf und stehen in einem dunkel beleuchteten Warteraum. Es ist seltsam ruhig und eine Frau sitzt hinter einer Glasscheibe und feilt gelangweilt an ihren Fingernägeln. Mir läuft es eiskalt den Rücken hinunter, ich hasse das Geräusch von schmirgelnden Nägeln, die gegen den Strich, gegen die Wuchsrichtung abgeschliffen werden.

Im Halbdunkel zu ihrer Rechten sitzt jedoch noch jemand, den wir zuerst gar nicht wahrgenommen haben: Ein Beamter mit ruhiger Ausstrahlung und einem Kranz aus Haaren. Aus Schutz vor der Sonne hat er seine Jalousien ganz hinabgelassen. Er schaut sich lange und nachdenklich unsere Strafbelege an, dann nimmt er einen Stift und einen Zettel von kleinem quadratischen Block und schreibt sorgfältig in geschwungenen, lateinischen Buchstaben einen Vornamen und Nachnamen. Dies sei der zuständige Vorgesetzte in dem blauen Glaswürfel und er macht eine Handbewegung, die unbestimmt nach oben oder auch auch alles hinter ihm bedeuten könnte. Dann beugt er sich verschwörerisch vor, es sei besser wenn wir jemanden haben, der uns bei der Übersetzung helfe würde, rät er uns und beginnt einen Bekannten von sich in Deutschland per WhatsApp zu kontaktieren. Zum Abschied nickt er in Richtung des Zettels in meiner Hand und sagt: Second Floor.


Die Stimme am Telefon klingt leicht elektronisch verzerrt, es ist ein Internet Anruf per WhatsApp und manchmal ist die Verbindung abgehakt. Der Mann am anderen Ende der Leitung ist schwer einzuschätzen. Weder wie alt er ist, noch wie er heisst oder wie wir beide in diese Situation gekommen sind, ist jetzt von Interesse. Wir verlieren darüber kein Wort. Geschäftig gehen wir an die Lösung der Situation. Und die Regeln der Situation diktieren uns, nun miteinander zu sprechen. Gemeinsam mit der Stimme aus dem Telefon gehen wir die Stufen zu diesem verdammten, blauen Glaswürfel hinauf,  um ein für allemal dieses Problem aus der Welt zu schaffen, das uns verfolgt und anhängt.

Der Vorgesetzte redet lang und gewandt,  läßt sich durch unsere Papiere führen und durch nichts aus der Ruhe bringen. Ein Durcheinander aus seltsam lang gedehnten Worten aus der ÜbersetzungsApp, der Stimme aus dem Telefon und georgischen Worten des Polizeibeamten macht uns schwindelig. Es bleibt dabei: Die Polizei besteht auf den Übersetzer. 

Georgien ist kein Mitglied der Europäischen Union und erkennt die Dokumente aus dem Europäischen Ausland, wie Führerscheine etc. nicht an. Auch wenn dieser scheinbar international ist, in Georgien gelten andere Gesetze. Es bleibt ein Übersetzer notwendig, der die Papiere aus dem Lateinischen ins Georgische übersetzt und ein Notar, der diesen Vorgang beglaubigt. Soweit, so kompliziert.

Fünfzehn Minuten später stehen wir wieder vor der Tür des blauen Glaswürfels und ich bin mir unsicher, ob sich dieser nun einfach in Luft auflöst, wenn ich ihm den Rücken zudrehe. Alles erscheint wie eine Illusion, eine psychedelische Spur aus einem verzerrten Film, der vor und zurück gespult, die immergleiche Situation heraufbeschwört. 

Das Ende dieses Liedes wird sein, dass wir nach drei Polizeistationen in verschiedenen Städten keinen Zentimeter weiterkommen. Die Ausreise aus Georgien steht bevor und wir wollen das Problem geklärt wissen, bevor es nach Aserbaidschan weiter geht. In Tiflis versuchen wir erneut das Problem anzugehen. Der Besuch bei einem Notar und einen Übersetzer endet aussichtslos, da die letzte Seite des internationalen Führerscheins auf Französisch geschrieben ist und leider hat der Übersetzter für Französisch gerade Urlaub. Ein weiterer Besuch bei einer Polizeistation ist auch nicht mehr erfolgreich: der diensthabende Polizist schläft als ich die Station betrete. Erst nach lauterem Rufen wird er von seinem Kollegen aus dem Hinterraum geweckt und raunzt mich an, das er mir auf keinen Fall helfen könne.

 "Fahrt einfach und kommt in den nächsten drei Monaten nicht nach Georgien zurück.", das ist der Ratschlag des Autovermieters für diese Situation. Das  kommt uns sehr gelegen, denn wir sind froh, dieses wilde Durcheinander endlich verlassen zu können. Dieses Land hat es uns auf sehr unterschiedliche Weise mehr als schwer gemacht. Zurückkehren ist nun wirklich das Letzte, was wir wollen. Doch das Weiterfahren fällt uns auch schwer. Georgien wird auf den letzten Metern zum letzten bekannten Rest einer vertrauten, europäischen Welt. Wir bekommen Angst vor dem, was vor uns liegt. Auch wenn wir hier einfach nur wegwollen, liegen vor uns ungeahnt grosse Ängste, vor dem, was der zentralasiatische Teil der Reise mit sich bringen könnte?

Wir sitzen erschöpft in einer Gasse von Tiflis und essen in unserer Verzweiflung einen Salat von Mc Donalds. Wir streiten uns über das frustrierende Gefühl, das uns Georgien entgegenschreit: Wir sind egal. In Georgien ist alles egal. Nichts kümmert hier irgendwen oder irgendwas. Alles ist einfach egal. Egal, egal, egal... 

Tiflis ist bekannt für seine extravagante Architektur und Wandmosaiken. Die Skulpturen zeugen von der Liebe der Georgier zu den Bildenden Künsten. Das beeindruckendste Monument steht allerdings auf einer Verkehrsinsel in der Altstadt nahe des Justizpalastes. Hier hat die Polizei als Warnung und Mahnung zugleich ein Autowrack aus einem Autounfall platziert. In zwei Meter Höhe scheint es auf dem Dach in der Luft zu schweben. Nachts wird es von Scheinwerfern beleuchtet.  Das dieses Denkmal rein dekorativ ist, beweisen die Autofahrer umso eindrucksvoller. Es gilt das Recht des Stärkeren. Derjenige, der am rücksichtslosesten hupt, drängelt und schiebt kommt durch. Nur um dann rechtzeitig in der Mitte des Verkehrsflusses seinen Bekannten zu treffen, anzuhalten und zu plauschen, die Warnblinker angeschaltet.  Das hektische Bemühen von eben scheint wie vergessen und mühsam wälzt sich die Blechlawine um dieses neu entstandene Hindernis. 
Groß waren meine Erwartungen an Georgien. Genährt durch aktuelle Berichte in der Presse. Georgien sei die unentdeckte Perle des Kaukasus, eine liebenswert verrückte Mischung aus wildem Balkan, unberührter Natur und cooler urbaner Metropole in der Hauptstadt Tiflis.  Bei einer Landesgröße wie Bayern, beherbergt dieses Land acht verschiedene Klimazonen. Von anderen Overland-Reisenden wurde Georgien wegen seiner unendlichen Möglichkeiten gepriesen. Vieles davon ist wahr, doch es gibt auch die Kehrseite davon. Georgien ist, um es unumwunden zu sagen: Die große Enttäuschung dieser Reise. 
Natürlich ist dies mein subjektiver Eindruck, wie könnte es anders sein? Ich verallgemeinere und das Verallgemeinern eines Eindruckes fällt beim Reisen leicht und gehört vielleicht auch dazu. 

Wenn 100 Reisende den gleichen Weg gehen, wird man 100 verschiedene Erlebnisse, Eindrücke und Erfahrungen erhalten:
Welche Leute am Strassenrand stehen und schauen oder glotzen, ob sie winken oder ungerührt bleiben, ob der Verkehr ruhig oder nervenaufreibend ist und so weiter. 

Doch für mich ist es nicht europäisch und modern/ weltgewandt, wenn alles mit einer skrupellosen Rücksichtslosigkeit oder einer arroganten Selbstzufriedenheit verrichtet wird. Wir sind Müde davon ständig unser Wechselgeld auf Vollständigkeit zu prüfen. Wir sind müde von gierigen und unhöflichen Taxifahrern. Wir sind müde von schrecklichem Verkehr und wir sind müde von dem schalen Beigeschmack, den die georgische Gastfreundschaft für uns hatte.  Am Anfang dachten wir, es sei vielleicht einfach einer gewissen Unerfahrenheit im Umgang mit Fremden, insbesondere Touristen geschuldet. Ja, dann wäre Georgien sicherlich sehr unprofessionell im Umgang mit seinen Gästen.
Die einfachsten Verrichtungen konnten sich in Georgien zu Dramen, von homerischen Ausmass entwickeln. Wir gewöhnten es uns vollkommen ab, in Georgien essen zu gehen, weil es vom Zeitpunkt der Bestellung bis zum häppchenweise Eintrudeln der einzeln Speisen, bis zum Bestellen der Rechnung und dem Zurückbringen des Wechselgeldes einfach ewig dauerte. Aber das sind nun wirklich verwöhnte Blicke eines Mitteleuropäers, nein, das schmerzlichste hier zu erfahren, war, die Menschen auf einer simpleren, menschlicheren Ebene nicht treffen zu können. Wir waren froh und erleichtert wenn wir mal einen halbwegs freundlichen Georgier trafen, doch die bittere Wahrheit war das Unwirsche, das Abgewandte oder das Gierige vorherrschend waren. Ausnahmen bestätigen die Regel und ich möchte alle davon ausnehmen, die sich rührend für uns interessiert haben und uns zugewandt waren.
Der Kontrast ist so scharf und auffällig, weil sich dieses scharf abgetrennte Gefühl auf vor und nach den Grenzen Georgiens beschränkte. Die Gastfreundschaft der Türkei ist legendär und ich hielt sie am Anfang vielleicht auch für eine folkloristische Verpflichtung, doch es sind eben die Kleinigkeiten in denen sich die Zugewandheit und ja, wie soll ich es nennen? Julica nennt es die Sprache des Herzens, in der man sich begegnet und die leichtfällt auch ohne Sprachkenntnisse zu teilen. Das Lächeln, das Wiedererkennen des Anderen in einem selbst, ohne einer gemeinsamen Sprache mächtig zu sein, aber dennoch dessen Anliegen zu begreifen und ein Stück weit zu einem eigenem Anliegen zu entwickeln. Das ist nicht oder nur sehr schwierig zu fälschen und vorzutäuschen und bei den Millionen an Eindrücken die jeder Reisende sammelt, auch nicht zu inszenieren. Gesten, Haltungen und Mimiken, lassen sich in dieser Breite nicht fälschen vielleicht nur professionalisieren. Es erinnert mich daran, das mein Vater auch immer den Kopf schüttelt über die Nachlässigkeit oder Sorglosigkeit der Phillippinos. Ich meine, das es vielleicht eine gewisse Unerfahrenheit im Umgang mit Touristen gibt, die sich verbessern lässt. Wie ein Hotelbetrieb, der immer besser wird. Aber grundsätzlich sind die Philippinos ein herzlicher und freundlicher Menschenschlag, die leicht zu erreichen sind. Das Gefühl kam mir in Georgien leider irgendwo abhanden. Vielleicht irgendwo zwischen all den hupenden und drängelnden Autos im alltäglichen Verkehr, der so egoistisch und rücksichtslos ist, wie ich ihn nirgendwo anders erlebt habe.  

Zu allem Überfluss verursacht der Salat von Mac Donalds bei uns eine Lebensmittelvergiftung und Georgien hält uns für drei weitere Tage in seinem festem Griff. Wie heißt es so schön?Liebe geht durch den Magen. 
Wie die Reise weitergeht, erfährst Du hier...
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